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Das Auge im Augenschein

Das Auge ist ein Hochleistungsorgan, es ist ständig in Bewegung und sendet Impulse. Gleichzeitig ist es unser wichtigstes Sinnesorgan, mit dem wir die Welt wahrnehmen. Eine wichtige Aufgabe nimmt es auch in der sozialen Interaktion wahr. Wir haben Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen Fragen rund um das Auge und ums Sehen gestellt.

Herr Professor Zinkernagel, warum ist das Auge so wichtig für den Menschen?
«Die Augen sind unsere primären Sinnesorgane, unser Gehirn nutzt etwa 30 Prozent seiner Kapazität, um visuelle Informationen zu verarbeiten. Das ist enorm und zeigt, wie wichtig der Sehsinn für unser Überleben und unser tägliches Leben ist», verrät Prof. Dr. Dr. Martin Zinkernagel, Chefarzt der Augenpoliklinik am Inselspital Bern. Die visuelle Wahrnehmung hilft uns nicht nur dabei, uns in unserer Umwelt zurechtzufinden, sondern spielt auch eine grosse Bedeutung für die soziale Interaktion und die Kommunikation zwischen Menschen, verrät der Experte: «Wir lesen beispielsweise die Körpersprache und die Gesichtsausdrücke anderer Menschen, um ihre Stimmungen und Emotionen zu verstehen. Gleichzeitig können Augen wichtige Emotionen darstellen, wie zum Beispiel Freude, Traurigkeit, Angst oder Zuneigung. Der Blickkontakt hilft uns, Vertrauen und Empathie aufzubauen.»

Wie hat sich das Auge entwickelt?
Die Forschung geht davon aus, dass sich die ersten Augen vor etwa 500 Millionen Jahren entwickelt haben. In der Folge haben sie sich – je nach Bedürfnis ihres Trägers – weiterentwickelt. «Die Evolution des menschlichen Auges ist faszinierend und zeigt, wie die natürliche Selektion die Anpassung von Lebewesen an ihre Umwelt fördert und wie die komplexe Struktur des Auges dazu beigetragen hat, unsere Überlebensfähigkeit und Entwicklung zu fördern», erklärt Zinkernagel und führt aus: «Die Augen der Vorfahren des Menschen waren relativ einfach und bestanden aus nur wenigen lichtempfindlichen Zellen, die ihnen ermöglichten, hell und dunkel zu unterscheiden. Im Laufe der Evolution entwickelten sich jedoch immer komplexere Augenformen, die es Tieren ermöglichten, Objekte in ihrer Umgebung zu erkennen und sogar Bewegungen zu verfolgen.» Die Evolution lässt sich auch an den verschiedenen Augenkrankheiten ablesen: «In den letzten Jahrzehnten ist Kurzsichtigkeit am Zunehmen. Das liegt auch daran, dass wir in der modernen Welt viel mehr Zeit damit verbringen, Objekte aus der Nähe zu betrachten, vor allem Bildschirme, Bücher und andere Druckerzeugnisse. Diese lange Arbeit in der Nähe, vor allem in jungen Jahren, kann dazu führen, dass sich das Auge verlängert und es kurzsichtig wird.» Auch eine immer höhere Lebenserwartung führt zu mehr Augenerkrankungen. Wie reagiert die Medizin darauf und welche Technologien können helfen? «Ich bin überzeugt, dass unter anderem KI-Systeme in Zukunft eine wichtige Rolle dabei spielen werden, das Gesundheitssystem effizienter zu machen.»

Herr Professor Sznitman, wie kann KI in der Augenheilkunde eingesetzt werden?
«In den letzten Jahren haben wir sehr eng mit der Augenklinik am Inselspital in Bern zusammengearbeitet, um eine breite Palette von Computer-Vision-Systemen zu entwickeln. Diese Systeme unterstützen die Ärztinnen und Ärzte bei der Diagnose von Krankheiten und helfen bei der Vorhersage, wie gut Patientinnen und Patienten auf Behandlungen ansprechen werden», erklärt Prof. Dr. Sznitman. Der Experte für KI und Computer-Vision ist Leiter des ARTORG Centers in Bern. Ein grosser Teil der Zusammenarbeit bestehe darin, das klinische Verständnis von Augenerkrankungen mit der Frage zu verbinden, wie KI diese Informationen nutzen kann, um Systeme bereitzustellen, die äusserst effizient sind und konsistent Bilder und Daten aus der Augenheilkunde auswerten, verrät er weiter. Ein weiterer Nutzen entsteht bei der Ausund Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten: «Die KI kann eine wichtige Rolle bei der Zusammenstellung und Zusammenfassung von Informationen spielen. Dies könnte in den kommenden Jahren von entscheidender Bedeutung sein, wenn medizinisches Wissen so schnell generiert wird, dass es überfordernd sein kann, auf dem Laufenden zu bleiben.»

Kann KI sehen und was ist Computer-Vision?
«Ich würde sagen, dass die Computer-Vision ähnlich funktioniert wie das Fliegen von Flugzeugen. Vögel waren eine frühe Inspiration für das Fliegen, aber kein Flugzeug funktioniert heute nach denselben Prinzipien wie Vögel. In ähnlicher Weise wurden auch die frühe KI und das Computerbild stark von der menschlichen Wahrnehmung beeinflusst», erklärt Sznitman und führt aus: «Heute ist dies nicht mehr so sehr der Fall, und moderne KI-Methoden für das Sehen am Computer beruhen auf Mechanismen, die für Computer optimiert sind und nicht auf der menschlichen Physiologie basieren.»

Herr Guerne, wie funktioniert Fernsehen?
Zum «Fernsehen» dient das Fernsteuerungssystem SCRAPER der NGO Foundation Digger im Berner Jura. Mit ihm verwandeln sich Baumaschinen aller Art und Marken in ferngesteuerte Fahrzeuge. Wozu es das braucht, verrät Gründer Frédéric Guerne: «Wir entwickeln Minenräumungsmaschinen. Dabei war es schon immer unser Hauptziel, die Menschen aus den Maschinen zu holen und in Sicherheit zu bringen.» Begonnen hat alles mit den ferngesteuerten Digger-Maschinen: «Diese eignen sich sehr gut für rurales Gelände. Die Pilotin bzw. der Pilot navigiert sie aus naher Distanz, ähnlich einem ferngesteuerten Auto. Auf dem Gefährt installierte Kameras, deren Bild auf dem Display der Fernsteuerung angezeigt werden, helfen bei der Navigation», erzählt Guerne und fährt weiter: «Der Krieg in Syrien hat uns gezeigt, dass es auch Minenräumungsmaschinen braucht, die in urbanen Gebieten eingesetzt werden können. Das bedeutet aber, die Pilotin bzw. der Pilot muss die Maschine aus sicherer Distanz so führen können, als ob sie bzw. er in der Kabine sitzt.» Möglich macht dies das von Digger entwickelte Fernsteuerungssystem SCRAPER. Es besteht aus einer Stereokamera, die über eine Hochgeschwindigkeits-Funkverbindung mit einer VR-Brille verbunden ist und – in Echtzeit – auf die Kopfbewegungen der Trägerin bzw. des Trägers reagiert. Die Virtual-Reality Umgebung reproduziert das Innere der Führerkabine eins zu eins. Komplementiert wird das System mit professionellen Kraft- und Dämpfungssteuerungen, die das Manövrieren ermöglichen und die Immersion perfekt machen. Die Entwicklung des Systems war eine Herausforderung. «Es hat zwei bis drei Jahre Tüftelarbeit von unserem Ingenieurteam gebraucht, um herauszufinden, wie die Kameras eingestellt werden müssen, damit es sich wie natürliches Sehen anfühlt. Zuerst haben wir nur eine Kamera benutzt, aber damit konnten die Distanzen zu wenig gut eingeschätzt werden. Also haben wir zwei Kameras installiert. Aber auch das funktionierte nicht auf Anhieb. Also haben wir uns durch verschiedene Studien über das Sehen gewälzt, um die richtigen Einstellungen, den richtigen Zoom zu finden.» Heute funktioniert das System so gut, dass eine gelernte Baumaschinenfahrerin bzw. ein -fahrer ohne zusätzliche Schulung das System nutzen kann «und damit nur etwa 20 Prozent weniger effizient arbeitet, als wenn sie oder er in der Führerkabine selbst sitzen würde», verrät Guerne stolz.

Ein Wermutstropfen für Guerne ist, dass SCRAPER bis heute noch nicht in einem Kriegsgebiet zum Einsatz gekommen ist. Dafür gibt es sowohl kulturelle als auch politische Gründe. Doch Guerne ist überzeugt von seiner Mission: «Die Gesichter von den Minenräumern, die dank unseren Fahrzeugen nicht mehr ihr Leben riskieren müssen, die halten mich in diesem Business.» Wenigstens haben sich schon andere Einsatzgebiete gefunden: «Das SCRAPERSystem wird in Frankreich und in der Schweiz für die Arbeit mit bedenklichen Materialien genutzt. Auch aus den USA haben wir bereits Interessenten.»

Frau Castellino, kann man auch ohne Augen sehen?
Anders sehen ist das Credo des Schweizerischen Blindenmuseums in Zollikofen. Aber wie geht das? «Bei blinden Menschen sind die anderen Sinne wie etwa der Geruchs-, der Gehör- oder der Tastsinn viel ausgeprägter. Sie können also mit der Nase, den Ohren oder den Fingern sehen», beschreibt es Carmelina Castellino, Direktorin der Blindenschule Zollikofen. Dieses Anders-Sehen mache sich teilweise auch in der Sprache bemerkbar. So erzählt Castellino von einem blinden Schüler, der hart getretenen Schnee folgendermassen beschreibt: «Er knackt heute wie ein Rüebli.» Die Schweiz zählt offiziell ca. 300 000 blinde und sehbeeinträchtigte Menschen. «Die Dunkelziffer ist aber viel höher», so Castellino, «gerade Kinder mit Mehrfachbeeinträchtigungen oder Erwachsene, die mit dem Alter erblinden, fallen durchs Netz.» Das möchte Carmelina Castellino ändern, indem sie für das Thema sensibilisiert. Ab wann eine Person als blind bzw. sehbeeinträchtigt gilt, hängt vom Visus ab. Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gilt als blind, wer 5 Prozent oder weniger sieht (Visus ≤ 0,05).

Wie sich Blindheit bzw. eine Sehbeeinträchtigung anfühlt, können Besucherinnen und Besucher im Schweizerischen Blindenmuseum erfahren, das sich auf dem Campus der Blindenschule befindet. In verschiedenen Aktionsräumen können sie blind oder mit Brillen, die Seheinschränkungen simulieren, verschiedene Aufgaben lösen. Ergänzt wird das Angebot durch einen Ausstellungsraum mit Objekten aus 200 Jahren Blindenpädagogik sowie Videoporträts von ehemaligen und aktuellen Schülerinnen und Schülern der Blindenschule. Das Schweizerische Blindenmuseum wurde 2022 vom Europäischen Museumsforum mit dem «Special Commendation»-Preis ausgezeichnet.

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